Wie ein totes Kind mich zu der Mutter machte, die ich heute bin

„Werde bloß keine Glucke“. Noch heute habe ich diesen Satz im Kopf, den damals meine Schwester zu mir sagte. Damals, als meine zweite Tochter geboren wurde. Für die meisten war und ist es mein erstes Kind.

Aber ich hatte vorher schonmal ein Kind zur Welt gebracht. Dreizehn Monate zuvor, wurde Franka still geboren. Eine Totgeburt.

Eine Bekannte meiner Mutter, als sie das Foto sah: „Das war ja ein richtiges Baby.“ – Ja klar, was sonst!? Ich war im neunten Monat. 

Ein kleiner Mensch, der mein Leben veränderte.

Sosehr in jenen Tagen mein Selbstmitleid allgegenwärtig war, es weckte meine Stärke und meinen Kampfgeist.

Ich war stark für meinen Mann, für unserer Ehe, für eine weitere Schwangerschaft.

Dann war ich stark für meine zweite und meine dritte Tochter. Ich habe für sie jeden Kampf gekämpt, den sie nicht selber kämpfen konnten. Ich bin vielen Menschen auf die Füße gestanden, und noch mehr auf die Nerven gegangen.

 

Und jetzt bin ich das, was im Allgemeinen eine „Rabenmutter“ genannt wird. Meine Kinder sind draußen. Mit Fahrrad oder Scooter oder zu Fuß. Sie klettern auf Bäume und holen Kastanien runter. Bauen Hüttchen im Wald. Fahren im Winter Schlitten nur an den steilsten Bergen. Kennen alle Verstecke und Plätzchen in der Siedlung. Und nachdem ich sie im Sommer regelmäßig abends überall suchen muß, ich inzwischen auch.

Sie dürfen die zwei Kilometer in die Schule laufen, sie dürfen in die Stadt laufen zum Eisessen oder ins Freibad, sie fahren ins Zeltlager mit Menschen, die sie nie vorher gesehen haben.

Ich weiß, wie es sich anfühlt, ein Kind zu verlieren. Ich wünsche niemandem, diese Erfahrung machen zu müssen und auch wenn es für manche Mütter in meinem Umfeld überhaupt nicht dananch aussieht ich habe Angst um meine Kinder, Angst, daß ihnen was passiert oder sie einen Unfall haben. Und es ist täglich eine riesen Herausforderung für mich, sie es nicht spüren zu lassen.

Meine Töchter sollen selbstständige, unabhängige Frauen werden. Das funktioniert nun mal eher nicht, wenn sie mir den ganzen Tag am Rockzipfel hängen (müssen), wenn sie nie die Chance bekommen, eine neue Situation alleine durchzustehen.

Der Tod meines Kindes hat mir gezeigt, daß es nicht reicht zu denken oder zu wünschen. Man muß auch handeln.

2 Gedanken zu „Wie ein totes Kind mich zu der Mutter machte, die ich heute bin“

  1. Offene Worte, starke Haltung – Hut ab. Ich habe „nur“ erlebt, was es heisst, ein Kind immer fast zu verlieren. 7 Monate stand es auf der Kippe, ob das Kind leben wird oder nicht, danach Brutkasten, hoffen, ihn schliesslich heimholen. Ich war anfangs zu stark Glucke. Sah überall Gefahren, überall die Angst, das so erzitterte Kind könnte Schaden nehmen. Ich tat ihm und mir keinen Gefallen. Zum Glück konnte ich es abstellen und ihn bald zur Selbständigkeit erziehen. Es ist so wichtig. Danke für diesen Einblick!

    1. Hallo cosima1973, das ist wohl bei unseren Vorgeschichten eine ganz normale Reaktion. Nur kein Risiko eingehen!
      Und ich bin mir ziemlich sicher, wenn mir meine Schwester das nicht immer wieder vor Augen geführt hätte, wäre ich auch so geworden. Schwer wird es für mich nur, wenn ich von anderen „Glucken“ kritisiert werde. Dann keimen schon manchmal leise Zweifel in mir auf. Trotzdem bleib ich mir in der Hinsicht treu.

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